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ZNER 2011, 5
Becker 

Editorial

Am 28.10.2010 verabschiedete der Deutsche Bundestag nicht nur die 11. Atomgesetznovelle zur Laufzeitverlängerung, sondern mit der 12. Novelle zugleich die Einführung eines neuen § 7d AtG, die in der Öffentlichkeit so viel weniger zur Kenntnis genommen wurde. Dabei ist diese Vorschrift sehr interessant. Sie soll offenbar bewirken, dass das Klagerecht atomkritischer Bürger gegen unsichere Atomkraftwerke beschnitten wird, beispielsweise bei dem Versuch, ein Atomkraftwerk stilllegen zu lassen, das nicht gegen terroristischen Flugzeugabsturz ausgelegt ist. Mit der juristischen Einordnung dieser Vorschrift befasst sich der Aufsatz von Rossnagel/Hentschel in diesem Heft.

Die Autoren konstatieren widersprüchliche Signale, die von der Vorschrift ausgehen, attestieren ihr aber im Ergebnis den Versuch, Nachrüstmaßnahmen, die bisher der dynamischen Schadensvorsorge des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG und der Regelung für nachträgliche Auflagen in § 17 Abs. 1 Satz 3 AtG unterfielen, nunmehr dem Bereich des Restrisikos zuzuweisen, das dem Bürger kein Klagerecht gibt. Dabei muss man sehen, dass das Bedürfnis für Nachrüstungen, nötig etwa zur Beherrschung der Veralterung der Anlagen (und des Fachpersonals und der die Technologie umgebenden Wissenschaftsdisziplinen, die keine Perspektive mehr haben), durch die Laufzeitverlängerung immens steigt. Nach dem Atomkonsens I war nämlich eine Laufzeit von insgesamt 32 Betriebsjahren leitend. Nunmehr sollen die Anlagen nach den Absichten des Gesetzgebers 40 bzw. 46 Betriebsjahre bekommen. Dabei ist aber nicht berücksichtigt, dass wegen des Zunehmens der Einspeisungen aus Erneuerbaren Energien weniger Strommengen als geplant aus dem AKWs kommen werden, so dass im Ergebnis mit Betriebszeiten zwischen 45 und 55 Jahren zu rechnen ist. Damit liegen die Alterungsprobleme flagrant auf dem Tisch!

Dogmatisch knüpft die Regelung an an eine Minderheitsdogmatik, die auf „die klassische Gefahrenabwehr und die Risikoversorger“ abstellt, wie es in der begründenden Bundestagsdrucksache heißt. Dort gibt es keine dynamischen Betreiberpflichten mehr. Vielmehr müssen die Betreiber nur das Sicherheitsniveau einhalten, das für die älteren Kernkraftwerke mit den Genehmigungsbescheiden in den 60er und 70er Jahren festgelegt wurde. Alle weiteren Nachrüstmaßnahmen sind dann nur mit dem neuen § 7d AtG zu begründen.

Diese Vorschrift entspricht einem Denken, das der seit Herbst 2009 neu berufene Abteilungsleiter Gerald Hennenhöfer wie kein anderer repräsentiert: Hennenhöfer war von 1994 bis 1998 Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Umweltministerium und verhinderte als solcher beispielsweise eine Stilllegungsverfügung der hessischen Atomaufsicht gegen Biblis A. Nach dem Regierungswechsel 1998 wurde er bis 2004 zum „Generalbevollmächtigten für Wirtschaftspolitik“ beim Atomkonzern VIAG mit dem AKW-Betreiber Bayernwerk (heute E.ON). 2004 bis 2009 wurde er Anwalt bei der Kanzlei Redeker, in der er beispielsweise das Helmholtz-Zentrum München beriet, das bis 2008 das Atommülllager Asse II betrieb. 2009 wurde er dann wiederum Abteilungsleiter Reaktorsicherheit. Lobbypedia meint daher zu Hennenhöfer, dass er „wie kaum ein anderer in Deutschland das Prinzip Drehtür“ verkörpere.

Diese Vita kommt bei Rossnagel/Hentschel natürlich nicht vor. Vielmehr setzen sich die Autoren mit der dogmatischen Einordnung der Vorschrift auseinander und kommen zu dem Ergebnis, dass sie wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, die Schutzpflicht des Staates für Leben und Gesundheit, verfassungswidrig ist. Es bleibt abzuwarten, wie die Vorschrift in der forensischen Praxis aufgenommen wird.

Das vorliegende Heft veröffentlicht eine bisher nicht gekannte Anzahl an Entscheidungen. Die Liberalisierung des Energierechts, die Regulierung der Netze, der Bürgerprotest gegen Energiepreiserhöhungen und der Aufstieg der Erneuerbaren Energien wirken wie ABM-Maßnahmen für Gerichte und Anwälte. Die Redaktionslinie der ZNER bleibt bei dem Versuch, der Praxis möglichst einen näherungsweise vollständigen Überblick über die Rechtsprechungsentwicklung zu liefern. Dabei wird natürlich das Internet immer wichtiger. Manche Entscheidungen, die einerseits extrem lang und andererseits nur für ein eingeschränktes Publikum interessant sind, werden daher nur mit Leitsätzen und im übrigen im Internetauftritt der ZNER veröffentlicht. Die Leserschaft möge das goutieren.

Peter Becker

 
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