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BB 2017, I
Mollnau 

Für eine Abschaffung der Singularzulassung beim BGH für Zivilsachen

Abbildung 1

Gerade einmal 42 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten steht derzeit das Exklusivrecht zu, vor dem BGH in Zivilsachen aufzutreten. Damit können die rd. 165 000 übrigen Rechtsanwälte ihren Beruf nicht so ausüben, wie § 2 der Bundesrechtsanwaltsordnung die anwaltliche Tätigkeit definiert: als unabhängiger Berater und Vertreter ihrer Mandanten in allen Rechtsangelegenheiten. Und die Mandantinnen und Mandanten müssen für das BGH-Verfahren einen neuen Anwalt beauftragen, selbst wenn sie mit ihrem bisherigen anwaltlichen Vertreter zufrieden sind und ihm vertrauen.

Vor diesem Hintergrund wird in den Gremien der anwaltlichen Selbstverwaltung derzeit diskutiert, ob die Singularzulassung am Bundesgerichtshof für Zivilsachen abgeschafft werden soll. Fahrt aufgenommen hat die Debatte durch einen Beschluss der Kammerversammlung der RAK Berlin, sich für eine Abschaffung der Singularzulassung einzusetzen. Ein gleichlautender Antrag der RAK Düsseldorf wurde zur Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer gestellt; nach derzeitigem Stand soll auf der Herbst-Hauptversammlung 2017 über den Antrag entschieden werden. Natürlich stellt für einige Wenige bereits die Diskussion selbst einen Tabubruch dar. Was jedoch nicht davon ablenken sollte, dass die Rechtsanwaltskammern damit eine ihrer wichtigsten Aufgaben erfüllen: zu prüfen, ob berufsrechtliche Regulierungen (noch) notwendig sind oder ob eine weitergehende Deregulierung möglich ist.

Und auch vor dem europarechtlichen Hintergrund muss geprüft werden, ob mit der Singularzulassung eine kohärente Regelung besteht. Von den derzeit 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union verfügen neben Deutschland gerade einmal drei Länder, nämlich die Niederlande, Frankreich und Belgien, über Zugangsbeschränkungen zu den obersten Gerichtshöfen der jeweiligen Länder. Bereits diese Zahl zeigt, dass Deutschland hier eine Minderheitenposition einnimmt und dass Deutschland über ein in besonderem Maß regulierendes und beschränkendes System verfügt.

Das Hauptargument der Befürworter einer Singularzulassung lautet: Nur der BGH-Anwalt kann die maßgeblichen Rechtsfragen und die zulassungs- oder revisionsrechtlich relevanten Rechtsfehler herausarbeiten, den Prozessstoff für das Gericht optimal aufbereiten und somit eine Filterfunktion wahrnehmen, die das Gericht vor einer Flut unzulässiger oder unstatthafter Rechtsmittel bewahrt. Unstreitig ist dabei (nur), dass die derzeit beim BGH zugelassenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte über eine hohe Kompetenz sowie besondere Fähigkeiten und Fertigkeiten im revisionsrechtlichen Bereich verfügen. Aber: Als BGH-Anwalt wird man nicht geboren! Alle dort Tätigen waren zuvor Instanzanwälte und haben sich erst im Verlauf ihrer Berufsausübung revisionsrechtliche Fähigkeiten und Fertigkeiten angeeignet. Dies muss man auch den übrigen Rechtsanwälten zubilligen; das werden auch viele derzeit nicht beim BGH zugelassene Rechtsanwältinnen und Rechtanwälte leisten können.

Und auch die Filterfunktion überzeugt nicht. Bereits ein Vergleich mit allen anderen Bundesgerichten, bei denen es bekanntlich eine Singularzulassung nicht gibt, zeigt: Die Rechtspflege funktioniert (auch) dort! Zudem steht es einer anwaltlichen Interessensvertretung schlecht zu Gesicht, es als Aufgabe der Anwaltschaft anzusehen, ein Bundesgericht vor Arbeit zu bewahren, indem sie eine “Vor-Rechtsprechung” installiert und aussiebt. Die Rechtsprechung obliegt allein den Gerichten; wenn die Kapazitäten am BGH ohne Filterfunktion tatsächlich nicht ausreichen sollten, dann müssen sie erweitert werden.

Natürlich kann es richtig und sinnvoll sein, in einer bestimmten Phase des Rechtsstreites eine zweite Meinung einzuholen. Darüber soll und muss jedoch allein der Mandant entscheiden; ihn zu seinem “Glück” zu zwingen hieße letztlich, ihn zu einem unmündigen Bürger zu degradieren.

Die Richterinnen und Richter am BGH haben sich stets für eine Beibehaltung der Singularzulassung ausgesprochen; das ist verständlich, jedoch nicht ausschlaggebend. Im Zusammenhang mit der Abschaffung der Singularzulassung bei den Oberlandesgerichten im Jahr 2000 hat das BVerfG diesbezüglich bereits unmissverständlich festgestellt: “Zwar haben Richter zu allen Zeiten die Singularzulassung favorisiert, weil sie die richterliche Arbeit erleichtert. Mandanten hingegen gewinnen durch die Simultanzulassung eine größere Wahlfreiheit. Beschränkungen der Berufsausübung müssen aber dem Umstand Rechnung tragen, dass Rechtsanwälte vor allem ihren Mandanten als unabhängige Berater und Vertreter verpflichtet sind.” (1 BvR 335/97)

Letztlich stellt sich die Frage, ob die Diskussion über die Zukunft der Singularzulassung obsolet geworden ist, nachdem das BVerfG mit Beschluss vom 13.6.2017 (1 BvR 1370/16) eine Verfassungsbeschwerde gegen das Auswahlverfahren von BGH-Anwälten nicht zur Entscheidung angenommen hat. Ist damit alles entschieden und die Singularzulassung endgültig gerettet? Mitnichten! Denn das BVerfG konnte nur prüfen, ob die Beurteilung der vom Beschwerdeführer gerügten Wahlfehler mit spezifischem Verfassungsrecht vereinbar ist. Dass dies nicht der Fall sei, ergäbe sich – so das BVerfG – nicht aus der Beschwerdebegründung. Ob man einem Mandanten jedoch einen Anwaltswechsel oktroyieren und ihm damit den Anwalt, dem er in der ersten und zweiten Instanz vertraut hat, entziehen darf, musste nicht entschieden werden. Hier ist der Gesetzgeber in der Pflicht; dessen Entscheidung muss durch ein Votum der anwaltlichen Selbstverwaltung eingefordert werden. Im Interesse einer freien Berufsausübung und damit im Interesse der Mandantinnen und Mandanten. Es ist ihr Recht zu entscheiden, mit wem sie die letztinstanzliche Entscheidung erstreiten wollen.

Dr. Marcus Mollnau, Partner der Kanzlei Betz-Rakete-Dombek in Berlin, ist Rechtsanwalt und Notar. Seit 2012 ist er Präsident der Rechtsanwaltskammer Berlin.

 
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