Auswirkungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) hat nun abschließend das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren durchlaufen und wird ab dem 1. Januar 2023 (bzw. 2024) auf in Deutschland ansässige Unternehmen – sowie auf ausländische Unternehmen mit einer Zweigniederlassung in Deutschland gem. § 13d HGB – anwendbar sein. Wie das LkSG zum Wandel der Compliance-Landschaft in Deutschland sowie zu verstärkter ESG-Litigation beiträgt, beschreiben Prof. Dr. Christoph H. Seibt, LL.M. (Yale), und Dr. Marlen Vesper-Gräske, LL.M. (NYU).
Die Welt im Blick halten: Deutsche Unternehmen werden künftig nicht von international im Vordringen befindlichen menschenrechts- und umweltschutzbezogenen Prozessen verschont bleiben.
Im Kern schreibt das LkSG erstmals umfassende Geschäftspartnerprüfungen vor – und zwar losgelöst von der Industriebranche oder dem Geschäftsmodell. Und mehr noch: Die Regelungen betreffen zu einem großen Teil auch die unternehmensinterne Ausgestaltung der Compliance-Maßnahmen und greifen somit in das Gefüge der Compliance-Management-Systeme (CMS) von Unternehmen ein. Die Art und Weise der Compliance-Ausgestaltung liegt nach dem LkSG nicht mehr, wie sonst überwiegend im Bereich Compliance, im Ermessen der Geschäftsleitung. Die verpflichtenden Vorgaben bspw., dass eine Risikoanalyse jährlich durchzuführen ist, Schulungsmaßnahmen von Mitarbeitern und Geschäftspartnern zu erfolgen haben, Kontrollmechanismen vertraglich zu verankern sind sowie die Wirksamkeit von durchgeführten Compliance-Maßnahmen jährlich zu überprüfen ist, sind – wenn auch nicht generell – so jedenfalls in diesem Detailgrad neu für die Compliance-Landschaft in Deutschland.
Begleitend dazu erhält das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) als zuständige Kontrollbehörde nach dem LkSG umfassende Befugnisse. Die funktionale Ausrichtung gilt sowohl präventiven Zwecken als auch der Vorbereitung von Bußgeldverfahren. Entsprechend dieser Doppelfunktion erhält das BAFA als Ausprägung präventiver Aufgaben die Befugnis, Unternehmen konkrete Handlungen zur Erfüllung ihrer Pflichten aufzugeben; andererseits werden weitgehende Ermittlungsbefugnisse, wie Betretens-, Auskunfts- und Einsichtsrechte eingeräumt. Spiegelbildlich werden den Unternehmen typische verwaltungsrechtliche Duldungs- und Mitwirkungspflichten, wie Herausgabepflichten, auferlegt. Allerdings räumt das LkSG den zur Auskunft verpflichteten Personen in § 17 Abs. 3 auch ein Auskunftsverweigerungsrecht (entsprechend § 55 StPO) ein. Diese Regelung ist im Lichte der wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Rechtsprechung zu lesen, so dass nur eine Auskunft verweigert werden kann und nicht auch die Aushändigung von Unterlagen. Das bekannte Dilemma einer Mitwirkungspflicht von Betroffenen bei der Sachverhaltsaufklärung im Verwaltungsverfahren trotz der Gefahr des späteren Übergangs in ein (repressives) Ordnungswidrigkeitenverfahren und der dortigen Verwertung der zuvor („freiwillig“) herausgegebenen Beweismittel besteht somit auch nach dem LkSG fort.
Sollte das BAFA Ordnungswidrigkeiten gem. § 24 LkSG feststellen, so können gegen Unternehmen – auf Grund des Verweises auf § 30 Abs. 2 Satz 3 OWiG – Bußgelder in Höhe von max. 8 Mio. Euro verhängt werden. Ganz nach dem Vorbild des europäischen Gesetzgebers können juristische Personen oder Personenvereinigungen (mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 400 Mio. Euro) im Höchstmaß auch mit am durchschnittlichen weltweiten Konzernjahresumsatz bemessenen Bußgeldern belegt werden (hier: bis zu zwei Prozent). Die Stoßrichtung des Gesetzgebers, CMS in deutschen Unternehmen zu fördern, tritt auch in § 24 Abs. 4 LkSG deutlich zum Vorschein: Entsprechend der Parallelnormen im neuen GWB werden vorhandene Compliance-Systeme bei der Bußgeldbemessung berücksichtigt.
Trotz der ausdrücklichen Stellungnahme in § 3 Abs. 2 S. 1 LkSG, dass eine Verletzung der im Gesetz niedergelegten Pflichten keine zivilrechtliche Haftung begründet, wird auf Grund der weitergehenden Klarstellung im dortigen S. 2 (unabhängig vom LkSG begründete zivilrechtliche Haftung bleibt unberührt) augenscheinlich, dass deutsche Unternehmen künftig nicht von international im Vordringen befindlichen menschenrechts- und umweltschutzbezogenen Prozessen verschont bleiben werden. Abzuwarten bleibt insofern auch, welche Bedeutung dem LkSG im Zusammenhang mit potentiellen „Klimaschutzklagen“, wie u.a. erst kürzlich in den Niederlanden gegen Royal Dutch Shell, zukommen mag. Das LkSG bezieht den Klimaschutz an keiner Stelle des Gesetzes ausdrücklich ein. Die auferlegten umweltbezogenen Pflichten betreffen nur einen kleinen Spezialbereich des Umweltvölkerrechts. Es gilt jedoch zu beachten, dass die aktuelle „Klimaschutz-Jurisprudenz“ – sei es auf verfassungsrechtlicher Ebene oder im Bereich zwischen Privaten – „Klimaschutzrechte“ im Bereich der Menschenrechte ansiedelt. Konkret werden neben Soft Law Standards das Recht auf Leben (z.B. Art. 6 IPbpR) und das Recht auf Privatleben (z.B. Art. 17 IPbpR) herausgegriffen. Beide Menschenrechte werden auch im LkSG als geschützte Rechtspositionen (über § 2 Abs. 1 LkSG) in Bezug genommen. Drohende Sanktionen sowie Haftung über allgemeine deliktische Rechtsgrundsätze scheinen daher nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Prof. Dr. Christoph H. Seibt und Dr. Marlen Vesper-Gräske
Einen ausführlichen Beitrag der beiden Autoren zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz lesen Sie in der Oktober-Ausgabe des Compliance-Beraters.
Prof. Dr. Christoph H. Seibt, LL.M. (Yale), Rechtsanwalt und Partner, Freshfields Bruckhaus Deringer Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB.
Dr. Marlen Vesper-Gräske, LL.M. (NYU), Rechtsanwältin, Freshfields Bruckhaus Deringer Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB.