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CNL 2024, 14
Jüttner 

Kolumne: Spielräume erkennen

Passgenau oder angepasst – diese Frage stellt Markus Jüttner in Teil 1 seiner Kolumne zum Compliance Management System (CMS). Viele Unternehmen richten sich dabei an CMS-Standards aus. Trotz dieser Orientierung an Standards hat nach herrschender Meinung ein CMS „individuell“, „maßgeschneidert“, „speziell“, „unternehmensangepasst“ usw. zu sein. Was nun?

Abbildung 17

Vier typische Organisationsformen: Sie können helfen, um den Überblick im Labyrinth zum organisationsindividuellen CMS zu behalten.

Jedes Unternehmen, so hört man, habe für sich zu prüfen und entscheiden, welche Compliance-Maßnahmen konkret erforderlich seien, um den spezifischen Anforderungen zu genügen. So gäbe es kein Compliance-System „von der Stange“, ebenso wenig sei ein „One-size-fits-all“-Ansatz wirksam, noch könne ein CMS wie ein Tool oder Standard-Produkt eingekauft werden. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, doch in der Realität sind starke Ähnlichkeiten bei eLearnings, Schulungsprogrammen, Richtlinien, Kontrollmaßnahmen, Aufbau- und Ablauforganisationsaufbau usw. zu beobachten. Prof. Haugh stellte dies in seiner Analyse aus dem Jahre 2017 auch fest und statuierte sogar, dass dies ein wesentlicher Grund des vielfachen Scheiterns von implementierten Compliance Programmen sei:

„Why are all compliance programs so similar and why does it matter? Compliance program uniformity matters because if the majority of programs use the same tools, any flaw in those tools becomes endemic to compliance […]. Part of the reason for the uniformity of compliance comes from companies themselves. Most companies benchmark their compliance programs […]. It would be unfair to say this homogeneity is all the making of companies, however. The common tools and practices of compliance have developed against the backdrop of governmental regulation and enforcement.“

Wenn der Anspruch aber weiterhin gelten soll, dass „ein CMS so individuell zu sein habe wie das Unternehmen selbst“ (Feldgen), um Wirksamkeit zu entfalten, sollte man sich zuvörderst auch mit dem Charakter des Unternehmens auseinandersetzen, in dem das CMS wirken soll. Die Frage, die sich auch für ein wirksames Compliance Management stellt, lautet daher: „Was für ein Typus ist meine Organisation, welche Art von Organisationsform herrscht in meinem Unternehmen vor?“ Erst wenn man diese Frage beantwortet hat, kann man die standardisierten CMS auf das jeweilige Unternehmen adaptieren. Mit Organisationstypus bzw. -art ist aber nicht gemeint, in welcher Branche das Unternehmen agiert, sondern vielmehr welcher Typus auf der Formalebene (neben der Schau- und informellen Seite) vorherrscht. Prof. Mintzberg (2023) beschreibt den vielfach blinden Fleck in der Beratung und im Management wie folgt:

„Es gibt Arten von Organisationen, genau wie es Tierarten gibt. Verwechseln Sie sie nicht. Ein Bär ist kein Biber; der eine überwintert in Höhlen, der andere in Holzkonstruktionen, die er selbst baut. Krankenhäuser sind keine Fabriken; Werbeagenturen sind keine Fast-Food-Unternehmen. Das mag offensichtlich erscheinen, aber während wir die verschiedenen Tierarten kennen, verwechseln wir oft die verschiedenen Arten von Organisationen. Wie oft sind Unternehmensberater in eine Art von Organisation gekommen und haben sie wie eine andere behandelt – sagen wir, sie haben versucht, mit einem Krankenhaus so umzugehen, wie sie es gerade mit einer Autofabrik getan haben. (Das mag in der Cafeteria funktionieren, aber wie sieht es in der Geriatrie aus?) Natürlich verwenden wir diese Art von Wörtern – Krankenhäuser, Werbeagenturen –, aber sie bezeichnen Branchen, nicht die Art ihrer Organisationen. Unser Vokabular zum Verständnis von Organisationen ist wirklich recht primitiv. Wir verwenden das Wort Organisation so, wie Biologen das Wort Säugetier verwenden, nur dass wir nicht darüber hinauskommen.“

Durch diese Beschreibung wird deutlich, dass es tatsächlich nicht den „einen besten Weg“ für ein CMS geben kann. Der Glaube an den „one best way“ ist aber tief in uns Managern und Beratern verankert; das Benchmarking, die Suche nach Best-practice-Ansätzen und das vielerorts fehlende organisationssensible Vokabular belegen dies eindrucksvoll. Allerdings sind Organisationen wie auch in der vorherigen Kolumne beschrieben als emergente, soziale Systeme eben keine Maschinen mit kopierbaren Bau- und Instruktionsanleitungen und daher so unterschiedlich strukturiert wie ihre Zwecke und Akteure – Amazon ist eben nicht Apple, Starbucks nicht Adidas usw.

Um also auf der einen Seite die fehlerhafte Einheitsvorstellung von einem effektiven CMS zu überwinden, auf der anderen Seite aber nicht durch die unzähligen organisationsindividuellen CMS überfordert zu werden, bietet sich als Orientierung an, typische Organisationsformen zu finden, die in der Realität sehr häufig vorkommen. Insofern hat sich – Mintzberg folgend – bewährt, zwischen vier Organisationsformen zu clustern:

  1. das persönliche Unternehmen („personal“)

  2. die programmierte Maschine („programmed“),

  3. die professionelle Ansammlung („professional“)

  4. die Projektorganisation („project“)

Jeder dieser Organisationstypen unterscheidet sich insbesondere auf der formalen Ebene. Worin die Unterschiede liegen und welche Konsequenzen dies für das Compliance Management beinhaltet, wird in der nächsten Kolumne beschrieben.

Markus Jüttner

Abbildung 18

Markus Jüttner ist Rechtsanwalt und Partner des Fachbereichs Forensic & Integrity Services, EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Er berät Organisationen in allen Fragen des Compliance Managements. markus.juettner@de.ey.com

 
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