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K&R 2013, 1
Immenga, Frank A 

Internet-Marktplätze im Fadenkreuz des Kartellrechts

Die Wettbewerbs- und Überlebensfähigkeit vieler Händler hängt von der Gestaltungsfreiheit ihres Internetvertriebs ab. Bei der Frage, wie weit der Internetvertrieb beschränkt werden kann, gibt es eine vielschichtige und erhebliche Interessenkollision zwischen Herstellern und Händlern. Nunmehr gerät mit dem Internet-Marktplatz Amazon.de ein weiterer Akteur in das Fadenkreuz des Kartellrechts. Dies eröffnet eine neue Dimension: Der Wettbewerb zwischen Internet-Marktplätzen.

Was ist passiert? Vor dem LG Köln ist eine Klage des Internet-Marktplatzes Hood.de anhängig. Darüber hinaus prüft das Bundeskartellamt die Auswirkungen der von Amazon.de praktizierten Preisparitätsklausel: Händlern ist es untersagt, Produkte, die sie auf Amazon.de anbieten, an anderer Stelle im Internet günstiger anzubieten. Hierdurch erfolgt eine Preisbindung im Dreiecksverhältnis zwischen Amazon.de, Händler und Kunden. Die (unmittelbaren) Auswirkungen auf die Preisgestaltungsfreiheit der Händler (Höchstpreise auf Amazon.de) sind offensichtlich. Darüber hinaus hat die Preisparitätsklausel aber (mittelbare) Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen konkurrierenden Internet-Marktplätzen (wie bspw. zwischen Hood.de und Amazon.de). Denn durch die Mindestpreise bei konkurrierenden Internet-Marktplätzen, können die Händler dortige (günstigere) Konditionen nicht in einen günstigeren Preis für den Endkunden einfließen lassen. Konkurrierenden Internet-Marktplätzen wird hierdurch der Wettbewerb erschwert. Weiterhin besteht die Gefahr, dass hohe Händlergebühren von Amazon.de durchgesetzt werden und das System so insgesamt zu einem höheren Preisniveau zu Lasten des Verbrauchers führt.

Aufgrund des neuartigen Dreiecksverhältnisses liegt hier eine (atypische) Form einer Meistbegünstigungsklausel zu Lasten des Abnehmers gegenüber seinem Kunden vor, wonach der Händler von Amazon.de verpflichtet wird, seinen Kunden für die Waren, welche er auf Amazon.de verkauft, immer den günstigsten Preis zu bieten. Eine solche Meistbegünstigungsklausel ist eine Wettbewerbsbeschränkung i. S. v. § 1 GWB und Art. 101 Abs. 1 AEUV. Da sie den Händler (Abnehmer) in der freien Gestaltung seines Verkaufspreises beschränkt, sollte sie - falls die Vertikal-GVO überhaupt anwendbar ist - auch eine Kernbeschränkung nach Art. 4 lit. a der Vertikal-GVO darstellen und nicht freigestellt sein. Die entscheidende Frage ist, ob eine Einzelfreistellung gem. Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 Abs. 2 GWB in Betracht kommen kann. Dass dies bei einer solchen Kernbeschränkung gelingt - erscheint sehr zweifelhaft. Angesichts der wettbewerblichen Bedenken vermag es nicht zu erstaunen, dass ein Konkurrent bereits eine einstweilige Verfügung erwirken konnte, die es Amazon.de verbietet, von Verkäufern antiquarischer oder gebrauchter Bücher die Einhaltung der Preisparität zu verlangen (LG München I, 37 O 7636/10) und das OLG Düsseldorf (mit ähnlichen Argumenten) die Best-Preis-Garantie eines Hotel-Vermittlungsportals als kartellrechtswidrig qualifiziert hat (Az.: VI-W (Kart) 1/12).

Darüber hinaus könnte auch der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (§ 19 GWB und Art. 102 Abs. 1 AEUV) vorliegen. Obwohl Amazon.de anscheinend ein Viertel des deutschen Marktes der Versandhändler "beherrscht", stellt sich zunächst jedoch die schwierige Frage des relevanten Marktes. Da auch Händler aus anderen Ländern ihre Angebote einstellen können, ist der geographisch relevante Markt möglicherweise schon größer als Deutschland. In sachlicher Hinsicht kann man auf (Online-)Versandhandel, aber auch auf die Zurverfügungstellung von Internet-Marktplätzen (i.e., Plattform-Dienstleistung) abstellen. Die Annahme eines Missbrauchs scheint hingegen - insbesondere in Form des Behinderungsmissbrauchs - angesichts der Auswirkungen auf konkurrierende Internet-Marktplätze nicht abwegig; Preisbindungsklauseln durch Marktbeherrscher werden als missbräuchlich angesehen.

Fazit: Das Verfahren des Bundeskartellamts unterstreicht, dass der Handel im Internet (zunehmend) in den Fokus des Kartellrechts gerät. Dies ist zu begrüßen. Denn durch die Verlagerung des Handels in das Internet werden hier Wettbewerbswirkungen erzeugt, welche frühzeitig analysiert werden müssen. Amazon hat alte Branchenstrukturen ausgehebelt und eine weltweite Infrastruktur aufgebaut. Damit ist es zwar kein typisches Internetmonopol, welches alsbald von einer neuen Technik abgelöst wird. Es reicht aber (grundsätzlich) nicht aus, die Entwicklung im Internet mit einer kräftigen Prise Vertrauen in die Kräfte des Marktes zu begleiten. Vielmehr muss wettbewerbspolitisch bedenkliche Marktmacht (frühzeitig) erkannt werden, damit bei einem Missbrauch rechtzeitig eingeschritten werden kann. Es kann nicht sein, dass Unternehmen wie Amazon, Apple, Microsoft, Google und Facebook über das Tempo der Wettbewerbshüter weiterhin Lächeln!

RA Prof. Dr. Frank A. Immenga, LL.M. (Emory), Attorney at Law (NY), Frankfurt a. M.
 
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