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RIW 1998, 801
 
EuG (2. erweiterte Kammer)
Berechnung der Klagefrist nach Art. 173 Abs. 5 EGV

EuG, Entscheidung vom 20. November 1997 - T-85/97;

EuG (2. erweiterte Kammer) vom 20.11.1997 - T-85/97
RIW 1998, 801 (Heft 10)
Sachverhalt:(1) Die Klägerin, die Interprovinciale des fédérations d'hôteliers, restaurateurs, cafetiers et entreprises assimilées de Wallonie ASBL, ist ein gemeinnütziger Verein belgischen Rechts, in dem die in Punkt 2.01 ihrer Satzung aufgeführten beruflichen Vereinigungen der Hotel-, Restaurant- und Cafébesitzer und gleichartiger Unternehmen sowie der natürlichen und juristischen Personen, die sich für den Satzungszweck interessieren, im geographischen Raum der französischsprachigen und der deutschsprachigen kulturellen Gemeinschaften Belgiens zusammengeschlossen sind.(2) Die Klägerin übermittelte der Kommission mit Schreiben vom 7. April 1995 Kopie ihres Schreibens vom 3. April 1995 an den Ministerpräsidenten der Wallonischen Region, in dem sie das im Entwurf eines Dekrets der wallonischen Exekutive über den sozialen Tourismus (im folgenden: Dekretentwurf) vorgesehene Beihilfesystem zugunsten der Einrichtungen des sozialen Tourismus kritisierte, der an die Stelle der Königlichen Verordnung vom 23. Januar 1951 in der Fassung der Königlichen Verordnung vom 2. März 1956 über die Gewährung von Subventionen zur Förderung des Arbeiterurlaubs und des Volkstourismus treten sollte.(3) Die Kommission bestätigte mit Schreiben vom 21. Juni 1995 den Eingang des Schreibens der Klägerin vom 7. April 1995 und teilte dieser mit, daß die Generaldirektion Wettbewerb sie über den Fortgang der Angelegenheit auf dem laufenden halten werde; zunächst werde sie mit den belgischen Stellen Kontakt aufnehmen, um alle für die Prüfung der Vereinbarung des Dekretentwurfs mit dem Gemeinsamen Markt durch die Kommission erforderlichen Auskünfte einzuholen.(4) Der Dekretentwurf wurde der Kommission offiziell durch ein Schreiben der Ständigen Vertretung des Königreichs Belgien vom 4. Oktober 1995 bekanntgegeben. Zusätzliche Auskünfte wurden von den belgischen Stellen in einer Sitzung am 30. Januar 1996 sowie in Schreiben erteilt, die am 22. März und am 12. Juni 1996 bei der Kommission eingingen.(5) Die Kommission stellte in ihrer Entscheidung, die im Schreiben SG (96) D/8253 vom 24. September 1996 an den Minister für Auswärtige Angelegenheiten des Königreichs Belgien enthalten war, am Ende der in Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag vorgesehenen Vorprüfungsphase im Rahmen der Prüfung staatlicher Beihilfen fest, daß »die im Dekretentwurf der wallonischen Region vorgesehenen Beihilfen unter die in Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c vorgesehene Ausnahmeregelung fallen, da sie zur Entwicklung eines Wirtschaftszweigs, an dem ein gemeinsames Interesse besteht, beitragen und die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft«.(6) Diese Entscheidung wurde der Klägerin mit Schreiben vom 30. Januar 1997 mitgeteilt.(7) Die Rechtsanwälte der Klägerin ersuchten die Kommission mit Schreiben vom 12. März 1997, ihnen zu bestätigen, daß »die [in deren Schreiben vom 24. September 1996] namentlich auf den Seiten 3 und 4 genannten Zahlen ausschließlich aus der Wallonischen Region stammen«, um es ihrer Mandantin zu ermöglichen, »die Objektivität der [Dokumentation der Kommission], auf die eine für sie so bedeutsame Entscheidung gestützt wurde, zu prüfen«. Sie baten die Kommission, »ganz kurzfristig tätig zu werden«, und wiesen darauf hin, daß die Klagefrist des Artikels 173 Absatz 5 des Vertrages »am 31. Januar 1997 zu laufen begonnen hat«.(8) Die Kommission bestätigte den Rechtsanwälten der Klägerin mit Schreiben vom 24. März 1997, daß ihr die in der Entscheidung vom 24. September 1996 wiedergegebenen bezifferten Angaben von den belgischen Stellen gemacht worden seien. Sie führte dazu aus:»Diese Auskünfte sind der Kommission im Rahmen der Zusammenarbeit erteilt worden, zu der die Mitgliedstaaten nach Artikel 5 EG-Vertrag verpflichet sind, wo es heißt, daß sie der Kommission die Erfüllung ihrer Aufgabe erleichtern müssen. Wenn der Kommission von den zuständigen Stellen des betreffenden Mitgliedstaats detaillierte und glaubhafte Angaben übermittelt werden, die zu den von den Beschwerdeführern gegebenen Informationen nicht im Widerspruch stehen, hat die Kommission keine Veranlassung, die Redlichkeit dieser Stellen und die korrekte Haltung des betreffenden Mitgliedstaats zu bezweifeln.«Verfahren und Anträge der Parteien(9) Die Klägerin hat mit Klageschrift vom 3. April 1997, die am selben Tage in das Register der Kanzlei eingetragen worden ist, die vorliegende Klage erhoben, mit der sie beantragt,- die in dem Schreiben vom 24. September 1996 an das Königreich Belgien enthaltene Entscheidung der Kommission für nichtig zu erklären und dieser die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen,- hilfsweise, festzustellen, daß der Dekretentwurf, den die Kommission in der genannten Entscheidung zu Unrecht als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar bezeichnet hat, dies nur bei Erfüllung der im vorletzten Absatz der Begründung aufgestellten Bedingung sein konnte, nämlich soweit er vorsieht, daß die anerkannten Vereinigungen, die sozialen Tourismus veranstalten und sich an eine Kundschaft wenden, für die der soziale Tourismus nicht gedacht ist (und die nicht unter die in der Satzung enthaltene Definition der Personen fällt, für die der Verein entsprechend seinem Satzungszweck tätig werden muß), bei ihren zusätzlichen kaufmännischen Tätigkeiten (wie jeder andere gemeinnützige Verein auch) Preise anwenden muß, die nicht unter den Preisen liegen dürfen, die die im Privatsektor tätigen Hotel- und Restaurantbesitzer der vergleichbaren Kategorie für die gleiche Art von Leistungen durchschnittlich anwenden.(10) In der Klageschrift fehlte die Bezeichnung des Beklagten, die nach Artikel 44 § 1 Buchstabe b der Verfahrensordnung des Gerichts erforderlich ist. Der Rechtsanwalt der Klägerin hat in einem an die Kanzlei gerichteten Telefax vom 3. April 1997 klargestellt, daß die Klage gegen die Kommission gerichtet ist.(11) Die Kommission hat mit Schriftsatz, der am 5. Mai 1997 bei der Kanzlei eingegangen ist, gemäß Artikel 114 der Verfahrensordnung beantragt,- die Klage für unzulässig zu erklären,- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.(12) Die Klägerin hat in ihren am 11. Juni 1997 eingereichten Erklärungen zu diesem Schriftsatz beantragt, die Klage für zulässig zu erklären.Aus den Gründen:Zur Zulässigkeit(13) Nach Artikel 114 der Verfahrensordnung hat eine Partei, die vorab eine Entscheidung des Gerichts über die Unzulässigkeit herbeiführen will, dies mit besonderem Schriftsatz zu beantragen. Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung über den Antrag durch einen mit Gründen versehenen Beschluß entscheiden. Im vorliegenden Fall hält das Gericht die sich aus den Akten ergebenden Angaben für ausreichend und beschließt, daß das Verfahren nicht fortzusetzen ist.(14) Die Kommission stützt ihre Einrede der Unzulässigkeit auf drei Gründe: erstens verspätete Klageerhebung, zweitens Verletzung der Formvorschriften des Artikels 19 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes und des Artikels 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung des Gerichts und drittens, nur den Hilfsantrag betreffend, mangelnde Befugnis des Gerichts, Anordnungen zu erteilen. Zunächst ist der erste Grund zu prüfen.Vorbringen der Parteien(15) Zur Einrede der verspäteten Klageerhebung führt die Kommission aus, die Klage sei nicht innerhalb der in Artikel173 Absatz 5 des Vertrages vorgesehenen Zweimonatsfrist erhoben worden. Da die Klägerin von der angefochtenen Entscheidung, die nicht an sie gerichtet gewesen sei, am 31. Januar 1997 Kenntnis erlangt habe, wie ihre Berater in ihrem Schreiben vom 12. März 1997 an die Kommission bestätigt hätten, sei die Zweimonatsfrist am 31. März 1997 abgelaufen. Unter Berücksichtigung der in Artikel 102 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts mit Rücksicht auf die räumliche Entfernung festgesetzten zusätzlichen Verfahrensfrist (im folgenden: Entfernungsfrist), die für belgische Kläger zwei Tage betrage, sei die Klagefrist im vorliegenden Fall am 2. April 1997 um Mitternacht abgelaufen. Die Klage, die das Datum vom 3. April 1997 trage, sei jedoch am 3. April 1997 eingereicht und in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden.(16) Die Entfernungsfrist stelle lediglich eine Ausweitung der im Vertrag festgesetzten Klagefrist dar, so daß die besondere Vorschrift des Artikels 101 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts, wonach eine Frist, deren Ende auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag falle, mit Ablauf des nächstfolgenden Werktags ende, nur auf das Ende der Gesamtfrist (im Vertrag festgesetzte Klagefrist, verlängert um die Entfernungsfrist), nicht dagegen einmal am Ende der im Vertrag vorgesehenen Klagefrist und gegebenenfalls noch einmal am Ende der Entfernungsfrist Anwendung finde.(17) Die Klägerin, die ausdrücklich einräumt, daß sie am 31. Januar 1997 von der angefochtenen Entscheidung Kenntnis erlangt habe, trägt vor, die Klagefrist sei nicht abgelaufen. Die Zweimonatsfrist sei am 31. März 1997 um Mitternacht abgelaufen. Da dieser Tag ein gesetzlicher Feiertag (Ostermontag) gewesen sei, habe die Frist gemäß Artikel 101 § 2 der Verfahrensordnung am 1. April 1997 geendet. Wenn man die zweitägige Entfernungsfrist hinzufüge, sei die Frist am 3. April 1997 um Mitternacht abgelaufen. Die Klage sei somit zulässig.(18) Sowohl der Geist als auch der Wortlaut der hier in Frage stehenden Vorschriften der Verfahrensordnung verlangten, die Verfahrensfrist und die zusätzliche Entfernungsfrist als zwei verschiedene Fristen anzusehen, von denen jede - gegebenenfalls beide gleichzeitig - am nächstfolgenden Werktag ende, wenn ihr Ende auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag falle.(19) Da die Entfernungsfrist es dem Kläger grundsätzlich ermöglichen solle, seine Klage der Kanzlei auf dem Postwege zu übermitteln, was er an einem Feiertag nicht könne, dürfte die Verlängerung der Klagefrist durch die Entfernungsfrist nicht dadurch verkürzt werden, daß man ihr Ende auf einen für die Beförderung durch die Post nicht nutzbaren Tag fallen lasse.(20) Wenn die Verfahrensordnung keine Verlängerung der Fristen aufgrund der räumlichen Entfernung vorsähe, wäre der letzte Werktag, an dem die Klage habe erhoben werden können, im vorliegenden Fall Dienstag, der 1. April 1997, gewesen. Die Einführung einer zusätzlichen Enfernungsfrist von zwei Tagen dürfe dieses Verhältnis nicht beseitigen, sondern müsse dem Kläger zusätzlich zugute kommen.(21) Außerdem sei Artikel 101 § 2 der Verfahrensordnung, wonach eine Frist, deren Ende auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag falle, mit Ablauf des nächstfolgenden Werktags ende, auf alle in Artikel 101 § 1 genannten Fristen und somit auch auf die »in dieser Verfahrensordnung vorgesehenen gerichtlichen Fristen« anwendbar. Die mit Rücksicht auf die räumliche Entfernung festgesetzten zusätzlichen Verfahrensfristen seien in der genannten Verordnung, nämlich in Artikel 102 § 2, vorgesehen. Daraus folge denknotwendig, daß auch diese Fristen unter Artikel 101 § 2 der Verfahrensordnung fielen.Würdigung durch das Gericht(22) Nach Artikel 173 Absatz 5 des Vertrages sind Klagen binnen zwei Monaten zu erheben; diese Frist läuft je nach der Lage des Falles von der Bekanntgabe der betreffenden Handlung, ihrer Mitteilung an den Kläger oder in Ermangelung dessen von dem Zeitpunkt an, zu dem der Kläger von dieser Handlung Kenntnis erlangt hat.(23) Nach Artikel 101 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts wird bei der Berechnung einer Zweimonatsfrist der Tag, in den das Ereignis, das für den Anfang der Frist maßgebend ist, fällt, nicht mitgerechnet; die Frist endet mit Ablauf des Tages, der im letzten Monat dieselbe Zahl wie der Tag trägt, an dem das Ereignis eingetreten ist, von dem an die Frist zu berechnen ist. Artikel 101 § 2 der Verfahrensordnung bestimmt: »Fällt das Ende einer Frist auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertatg, so endet die Frist mit Ablauf des nächstfolgenden Werktags.«(24) Diese Vorschrift wird durch Artikel 102 § 2 der Verfahrensordnung ergänzt, wonach die durch Entscheidung des Gerichtshofes mit Rücksicht auf die räumliche Entfernung festgesetzten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten zusätzlichen Verfahrensfristen auch für das Gericht gelten. Im Beschluß des Gerichtshofes über die Verlängerung der Verfahrensfristen mit Rücksicht auf die räumliche Entfernung, der der Verfahrensordnung des Gerichtshofes als Anlage II beigefügt ist, heißt es, daß die Verfahrensfristen mit Rücksicht auf die Entfernung für das Königreich Belgien um zwei Tage verlängert werden.(25) Wie der Gerichtshof im Beschluß vom 15. Mai 1991 in der Rechtssache C-122/90 (Emsland-Stärke/Kommission, Randnr. 9, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) ausgeführt hat, ist Artikel 80 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, dem Artikel 101 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts entspricht und der sich ausschließlich auf den Fall bezieht, daß das Ende der Frist auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fällt, nur dann anwendbar, wenn das Ende der Frist einschließlich der Verlängerung mit Rücksicht auf die räumliche Entfernung auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fällt (vgl. auch Urteil des Gerichts vom 6. April 1995 in den Rechtssachen T-80/89, T-81/89, T-83/89, T-87/89, T-88/89, T-90/89, T-93/89, T-95/89, T-97/89, T-99/89, T-100/89, T-101/89, T-103/89, T-105/89, T-107/89 und T-112/89, BASF u. a./Kommission, Slg. 1995, II-729, Randnr. 62).(26) Die Verlängerung der Frist mit Rücksicht auf die räumliche Entfernung ist nämlich nicht als eine von der Verfahrensfrist zu unterscheidende Frist, sondern als deren bloße Verlängerung anzusehen, wie sich ausdrücklich aus dem Beschluß des Gerichtshofes über die Verlängerung der Verfahrensfristen mit Rücksicht auf die räumliche Entfernung ergibt, der bestimmt, daß »die Verfahrensfristen mit Rücksicht auf die Entfernung verlängert [werden]«.(27) Folglich ist im vorliegenden Fall die Klagefrist unter Berücksichtigung ihrer Verlängerung um zwei Tage mit Rücksicht auf die räumliche Entfernung am 2. April 1997 um Mitternacht abgelaufen.(28) Im übrigen hat die Klägerin das Vorliegen eines Zufalls oder eines Falles höherer Gewalt nicht nachgewiesen oder auch nur geltend gemacht, so daß es dem Gericht auch nicht möglich ist, eine Ausnahme von der in Rede stehenden Frist gemäß Artikel 42 Absatz 2 der Satzung des Gerichtshofes, der gemäß Artikel 46 der Satzung auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, zuzulassen.(29) Nach alledem ist die Klage als unzulässig abzuweisen, ohne daß über die übrigen Gründe, die die Kommission für die Unzulässigkeit angeführt hat, zu entscheiden ist.

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