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RIW 2000, 227
 
OLG Nürnberg
Wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit einer Werbeanzeige richtet sich nach europäischem Verbraucherleitbild

OLG Nürnberg, Entscheidung vom 28. Dezember 1999 - 3 U 2355/99;

OLG Nürnberg vom 28.12.1999 - 3 U 2355/99
RIW 2000, 227 (Heft 3)
SachverhaltDie Parteien sind Konkurrenten im Getränkehandel und streiten um die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit einer Zeitungsanzeige. Durch die Bewerbung von Getränken der Marke D mit dem Begriff »Säfte« spiegele die Beklagte nach Auffassung der Klägerin den Verbraucherkreisen vor, diese Produkte erfüllten tatsächlich das Qualitätsmerkmal »Fruchtsaft« i. S. der FruchtsaftVO. Kein Getränk der Marke P erfülle jedoch die Qualitätsmerkmale eines Fruchtsaftes. Das LG wies die Unterlassungsklage ab. Die Berufung hatte keinen Erfolg.Aus den GründenKein Verstoß gegen die FruchtsaftVO2. Die Beklagte verstößt in ihrer angegriffenen Werbung nicht gegen § 4 der FruchtsaftVO i. V. m. § 3 LMKV. § 4 Abs. 1 der FruchtsaftVO regelt, dass die in § 1 dieser Verordnung definierte Bezeichnung »Fruchtsaft« Verkehrsbezeichnung im Sinne der LMKV ist. Die LMKV gilt jedoch nur für die Kennzeichnung von Lebensmitteln in Fertigpackungen. Die vorgeschriebenen Kennzeichnungen sind dementsprechend gemäß § 3 Abs. 3 LMKV auf der Fertigpackung oder einem mit ihr verbundenen Etikett anzubringen. Die LMKV enthält dagegen keine Vorschriften für die Gestaltung der Werbung für Lebensmittel. Da aber die Klägerin nicht behauptet und beanstandet, dass die Etiketten der von der Beklagten angebotenen P-Produkte eine unzutreffende Verkehrsbezeichnung tragen, hat sie gegen die genannten Vorschriften und damit gegen § 1 UWG nicht verstoßen.Kein Verstoß gegen Lebensmittelrecht3. Die Beklagte hat aber auch nicht gegen § 17 Abs. 1 Nr. 5 b LMBG, worauf die Klägerin in erster Linie ihr Klagebegehren stützt, verstoßen. Diese Vorschrift verbietet es, Lebensmittel unter irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung gewerbsmäßig in den Verkehr zu bringen oder für Lebensmittel allgemein oder im Einzelfall mit irreführenden Darstellungen oder sonstigen Aussagen zu werben. Eine Irreführung liegt insbesondere dann vor, wenn zur Täuschung geeignete Bezeichnungen, Angaben, Aufmachungen, Darstellungen oder sonstige Aussagen über die Herstellung oder Abpackung, über ihre Haltbarkeit oder über sonstige Umstände, die für ihre Bewertung mitbestimmend sind, verwendet werden.Richtlinienkonforme Auslegung§ 17 Abs. 1 Nr. 5 LMBG entspricht in seinem materiellen Inhalt Art. 2 Abs. 1 a der Europäischen Etikettierungsrichtlinie Nr. 79/112/EWG und ist deshalb richtlinienkonform auszulegen (Zipfel, Lebensmittelrecht, C 100, Rdnr. 213 a; Köhler/Piper, UWG, § 3 Rdnr. 29 m. w. N.). Zur Frage, welche Verkehrskreise maßgebend sind, wann eine bestimmte Angabe in der Werbung für Lebensmittel irreführend ist, hat der EuGH in seiner Entscheidungvom 16. 7. 1998 (GRUR Int. 1998, 797 - Gutspringenheide) unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung näher ausgeführt, dass das nationale Gericht bei der Auslegung dieser und vergleichbarer Richtlinienbestimmungen darauf abzustellen hat, wie ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher diese Angabe wahrscheinlich auffassen wird, ohne ein Sachverständigengutachten einholen oder eine Verbraucherbefragung in Auftrag geben zu müssen. Hat das nationale Gericht jedoch besondere Schwierigkeiten zu beurteilen, ob die betreffende Angabe irreführen kann, so verbietet das Gemeinschaftsrecht ihm nicht, dies nach Maßgabe seines nationalen Rechts durch ein Sachverständigengutachten oder eine Verbraucherbefragung zu ermitteln.Keine Gefahr der IrreführungNach diesen Grundsätzen ist die Gefahr der Irreführung für die angesprochenen Verkehrskreise, die hier das allgemeine Verbraucherpublikum ausmachen, nicht zu bejahen. Der Senat ist im Einklang mit der Auffassung des Erstgerichts der Ansicht, dass die maßgebenden Verbraucherkreise den in der Werbung der Beklagten verwendeten Begriff »Säfte« nicht gleichsetzen mit dem Begriff »Fruchtsaft« i. S. von § 1 der FruchtsaftVO.Die angegriffene Bezeichnung »Säfte« wird im vorliegenden Fall objektiv und für jeden durchschnittlich aufmerksamen Verbraucher ohne weiteres erkennbar als Oberbegriff verwendet, der P-Produkte verschiedener Sorten zusammenfasst. Generell ist der Ausdruck »Saft« ein gebräuchlicher Begriff der deutschen Sprache, der eine bestimmte Art von Getränken mit Obst- oder Gemüseanteilen bezeichnet und von anderen Getränken wie etwa Bier, Wein, Spirituosen, Tee, Kaffee, Limonade, Wasser usw. abgrenzt. Da somit der beanstandete Ausdruck in dem konkreten Zusammenhang der Werbung bereits als Oberbegriff für P-Produkte verschiedener Sorten, die dem Verkehr als Getränke mit Obstanteilen bekannt sind, verwendet wird und er nach dem Sprachverständnis ein allgemeiner Begriff der deutschen Umgangssprache ist, liegt die Annahme fern, dass ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher ihn in einem ganz speziellen gesetzlich definierten Sinn versteht, d. h. mit einem vom Verordnungsgeber geschaffenen Kunstwort gleichsetzt. Gegen letzteres spricht insbesondere, dass man einem durchschnittlich informierten Verbraucher aus früheren Einkäufen, aus der Werbung oder sonstigen Informationen zwar die Kenntnis unterstellen kann, dass es auf dem Getränkesektor verschiedene Begriffe gibt, mit denen die Qualität von Säften bezeichnet wird, nicht aber davon ausgehen kann, dass er den genauen Inhalt dieser Begriffe kennt (Zipfel, a. a. O., C 331 § 4 FruchtsaftVO Rdnr. 68).Fehlende GesetzesdefinitionDie Klägerin hält dem entgegen, dass es für den Begriff »Nektar« in Verbindung mit einem Getränk mit Obstanteilen ebensowenig wie für den Begriff »Saft« eine gesetzliche Definition gebe, der Verkehr aber das Wort »Nektar« in Verbindung mit einem solchen Getränk auf den Begriff des Fruchtnektars i. S. der Verordnung über Fruchtnektare und Fruchtsirup beziehe. Diese Argumentation überzeugt deshalb nicht, weil die Verwendung des Ausdrucks »Nektar« zur Bezeichnung von Saftgetränken bestimmter Qualität nicht dem überkommenen Sprachverständnis entstammt, sondern eine neue Sprachschöpfung der Getränkeindustrie ist, die eben zu dem Zweck eingeführt wurde, präzise zwischen verschiedenen Qualitätsstufen bei Getränken mit Fruchtanteil differenzieren zu können. Deshalb liegt hier - anders als bei dem Allgemeinbegriff »Saft« - eher die Annahme nahe, der Verkehr werde Nektar i. S. des gesetzlichen Begriffs »Fruchtnektar« verstehen.Hinzu kommt, dass es der Getränkedindustrie, dem Handel, der Presse oder sonstigen interessierten Kreisen grundsätzlich möglich sein muss, den Allgemeinbegriff »Saft« bzw. »Säfte« dort zu gebrauchen, wo die gesetzlich definierten Verkehrsbezeichnungen nicht verwendet werden müssen. Auch ein durchschnittlich verständiger Verbraucher wird sich dieser Überlegung vernünftigerweise nicht verschließen ...Da somit die maßgeblichen Verbraucher die beanstandete Angabe wahrscheinlich als Oberbegriff für verschiedene Getränke mit Fruchtanteilen auffassen und nicht mit dem gesetzlich definierten Begriff des Fruchtsaftes im Sinne von §§ 1-3 FruchtsaftVO gleichsetzen werden, ist ein Verstoß gegen § 17 Abs. 1 Nr. 5 b LMBG und damit gegen § 1 UWG zu verneinen, weil die angebotenen P-Produkte unstreitig Getränke mit Fruchtanteilen sind.Europarecht verdrängt § 3 UWGDaneben kommt die Anwendung von § 3 UWG wegen des Vorzugs der europarechtlich zu interpretierenden Spezialvorschrift nicht in Betracht (Köhler/Piper, UWG, § 3 Rdnr. 20, 29).

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