Der Coronainfizierte Einzelhandel – Der Bericht eines Schuhfacheinzelhändlers über Risiken und Chancen
von Claus Nürnberg, Aachen
Einzelhändler hoffen auf gute Lockerungskonzepte
Bereits zu Beginn des Lockdown-light im November 2020 wurden seitens des Bundes umfangreiche und schnelle wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen für die von der Schließung betroffenen Unternehmen zugesagt. Die Realität ist bekanntlich eine andere: Auszahlungen erfolgen mit mehrwöchiger Verspätung, die Antragsvoraussetzungen werden komplexer und die errechneten Hilfen reichen oft nicht aus, die laufenden Kosten zu bezahlen. Wer vor der Corona Pandemie keine Rücklagen bilden konnte, hat ein zunehmendes Liquiditätsproblem.
Die durch die Virusmutationen entstehenden neuen Infektionsrisiken und eine begrenzte Verfügbarkeit von Impfstoffen machen eine Strategie zur Lockerung von Infektionsschutzmaßnahmen und damit die zeitliche Planung einer Wiedereröffnung von Unternehmen sehr schwierig.
Der Unternehmer ist im Gegensatz dazu gerade in der Krise gefordert, eine Unternehmensplanung sowie Maßnahmen zur Abwendung der Krise zu entwickeln. Dies bedarf aufgrund der Komplexität oft auch einer externen Unterstützung, um den Status quo festzustellen und praktikable Wege aus der Unternehmenskrise, optimal zu nutzen.
Was das in der Praxis bedeutet, schildert Familie Walmrath, die in 3. Generation ein Schuhfacheinzelhandelsgeschäft betreibt, wie folgt:
Sanierung & Restrukturierung: Seit wann ist Ihr Geschäft im zweiten Lockdown geschlossen?
Walmrath: Seit dem 16. Dezember 2020
S&R: War Ihr Unternehmen auch vom ersten Lockdown betroffen?
Walmrath: Ja, im März und April 2020 Unser Unternehmen musste damit in den letzten 12 Monaten für 13 Wochen geschlossen bleiben. Ein Ende dieser Schließungsphase ist derzeit nicht absehbar.
Der stationäre Schuheinzelhandel verliert laut dem Handelsverband BDSE aufgrund des Lockdowns mehrere Millionen Euro Umsatz. Während andere Branchen nach Ende des Lockdowns die verlorenen Umsätze oftmals wieder aufholen konnten, bleibt der Schuh- wie auch der Modeeinzelhandel weiterhin deutlich unter den Vorjahreszahlen. Nach den aktuell vorgelegten Zahlen des Statistischen Bundesamtes fiel der Umsatz des Schuhfacheinzelhandels im ersten Halbjahr 2020 um 30,1 Prozent.
S&R: Wie hart trifft Ihr Unternehmen der Lockdown?
Walmrath: Sehr hart. Auch aufgrund der Tatsache, dass sich die Politik im allgemeinen, und Gesundheitsminister Jens Spahn im speziellen, festgelegt hatten, dass es für den deutschen Einzelhandel keinen zweiten Lockdown mehr geben werde, hatten wir uns darauf eingestellt, nicht mehr schließen zu müssen. Ohne diese Festlegung wären wir sicher in Bezug auf den Waren¬
S&R: Sehen Sie eine Möglichkeit, den verlorenen Umsatz nach Ende des Lockdowns wieder auszugleichen?
Walmrath: Wir erfahren von unseren Kunden ein sehr großes Maß an Unterstützung, daher wäre es sicher falsch, die Flinte ins Korn zu werfen. Allerdings bewegen sich die Umsatzeinbußen in einem Rahmen, der allenfalls nur in deutlich mehr als einem Jahr aufzuholen wäre.
S&R: Bund und Land haben milliardenschwere Hilfsprogramme auch für den Einzelhandel aufgelegt. Haben Sie seit Beginn des 2. Lockdown Hilfen erhalten?
Walmrath: Wir haben mit leichter Verzögerung das Kurzarbeitergeld für den bisherigen Zeitraum der Schließung erhalten. Ansonsten sind die Hilfen nach Rücksprache mit unseren Steuerberatern erst seit kurzem überhaupt zu beantragen, sodass wir bisher davon auch noch nichts erhalten konnten. Unsere Erwartungshaltung bezüglich der Hilfspakete ist allerdings angesichts der hohen bürokratischen Hürden eher bescheiden. Bei den Anträgen gibt es eine sehr hohe Anzahl an Unklarheiten. Zum Beispiel bei der Bewertung der nicht verkauften Saisonware: Wir sollen bezüglich der zu erwartenden Umsätze eine möglichst genaue Prognose für das nächste halbe Jahr stellen, ohne vorher zu wissen, wann und unter welchen Rahmenbedingungen wir öffnen dürfen. Am Ende dieser Abrechnungsperiode stehen den Händlern möglicherweise dann die Rückforderung der Hilfen ins Haus. Aufgrund der zu erwartenden hohen Steuerberatungskosten könnte dies für uns am Ende ein Minusgeschäft werden.
S&R: Welche Erwartungshaltung haben Sie gegenüber dem Staat?
Walmrath: Ich glaube kein Händler erwartet vom Staat einen kompletten Ausgleich der erlittenen Verluste. Wir wünschen uns jedoch schnelle und unkomplizierte Lösungen für die jeweiligen Wirtschaftsbereiche, sowie einen klaren Plan für die kommenden Wochen und Monate. Wir erwarten auch, dass sich die Corona Maßnahmen am Ansteckungsrisiko in den jeweiligen Bereichen orientiert. Denn laut diversen Studien ist dieses im Einzelhandel, unter Einhaltung der bekannten Schutzmaßnahmen, vergleichsweise gering. Wäre das Risiko groß, gäbe es zum Beispiel eine hohe Anzahl an Infektionen bei Supermarktkassiererinnen, die eine ungeheuer hohe Anzahl an Kontakten haben.
S&R: Wie reagieren Ihre Kunden auf den Lockdown?
Walmrath: Wir erhalten sehr viel Zuspruch von Seiten unserer Kunden, das ist wirklich toll. Viele nutzen den von uns angebotenen Bestell- und Abholservice. Unser Lieferservice im Umland wird ebenfalls gerne und oft in Anspruch genommen. Der allgemeine Tenor ist, dass viele Kunden sich die Möglichkeit wünschen, auch weiterhin im Geschäft einkaufen zu können, sich beraten zu lassen und die Ware vor Ort begutachten und anprobieren zu können.
Problematisch ist die Ungleichbehandlung während der Corona Pandemie von stationärem Fachhandel und Online-Verkäufern durch den Gesetzgeber, welche zu einer beschleunigten Verschiebung von Marktanteilen zu Gunsten des Online-Handels geführt hat und weiterhin führen wird.
S&R: Können Sie die Möglichkeiten des Online-Geschäfts nutzen?
Walmrath: Mit diesem Thema beschäftigen wir uns nicht erst seit der Coronakrise. Dem stationären Einzelhandel wird ja oft vorgeworfen, die Möglichkeit des Onlinehandels nicht zu nutzen. Für uns ist es nach langer, sorgfältiger Abwägung eine bewusste Entscheidung uns auf unsere Kunden im Geschäft zu fokussieren, da der Internethandel überwiegend über die großen Plattformen läuft, die gleichzeitig mit uns konkurrieren. Allerdings würden wir es unterstützen, wenn der stationäre Handel eigene Plattformen hätte, um dort Auslaufware anzubieten, quasi ein Online-Outletstore.
S&R: Ist jetzt die Zeit über Restrukturierungmaßnahmen im eigenen Unternehmen nachzudenken?
Walmrath: Dies ist ja ein kontinuierlicher Prozess. Es wäre sicherlich nicht hilfreich aufgrund der Krise alles über den Haufen zu werfen, was sich über viele Jahre bewährt hat. Jedoch haben auch wir den Kundenkontakt über das Internet und andere digitale Kanäle intensiviert und werden dies auch in Zukunft weiter ausbauen. Dies war sicher auch ein Versäumnis in der Vergangenheit.
Der Schuhfacheinzelhandel steht für Abwechslung, Mode und Fachkompetenz. Die Waren sind zum Teil äußerst saisonabhängig, sodass die Nachfrage nach Schuhen der abgelaufenen Herbst-Wintersaison zum jetzigen Zeitpunkt bereits stark gesunken ist. Gleichzeitig entstehen mit der Lieferung der neuen Frühjahr-Sommerkollektion 2021 neue Verbindlichkeiten und die Herbst-Winterkollektion 2021 / 2022 muss auch geordert werden, obwohl keiner weiß, wann der aktuelle Lockdown endet und ob ein weiterer folgen wird „Eine Gleichung mit vielen Unbekannten“.
S&R: Was ist Ihre Empfehlung, wie sollte der Einzelhändler jetzt entscheiden?
Walmrath: Eine ausgesprochen schwierige Frage, die wenn überhaupt, nur mit Blick auf die jeweilige Situation des Händlers zu beantworten ist. Trotz aller Unwägbarkeiten und Risiken würde ich den Einkauf nicht zu extrem drosseln und nicht zu konservativ einkaufen. Wir glauben an unser Geschäftsmodell und dass die Kunden auch zurückkommen werden. Dann muss man aber auch ein entsprechendes Angebot bereithalten, damit der Konsument sich nicht mangels Auswahl abwendet. Hier muss ein vernünftiges Maß gefunden werden.
S&R: Unterstützen die Lieferanten mit Rücknahme nicht verkaufter Schuhe oder verlängerten Zahlungskonditionen beim Einkauf dem Einzelhändler?
Walmrath: Die Lieferanten bieten vielfach im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten Zahlungsziele und Vergünstigungen an. Rücknahme von Ware wird eigentlich selten angeboten. Viele unserer Lieferanten sind mit dem stationären Handel eng verbunden, da gibt es einen intensiven Austausch, von dem beide Seiten profitieren. Dies würde in der Form bei verstärktem Verkauf über das Internet größtenteils entfallen. Daher wäre der Wegfall der Läden nicht nur in Bezug auf die verkauften Stückzahlen speziell für unsere überwiegend europäischen Lieferanten ein großes Problem.
S&R: Kann der Staat in dieser nicht planbaren Situation helfen?
Walmrath: Schwierig. Die zu treffenden Entscheidungen sind für die Politik nicht leicht, so viel ist klar. Aber wir wünschen uns einen klareren Plan und Strategien, die uns ein vernünftiges Handeln ermöglichen. Hilfen müssen nicht riesig groß ausfallen, aber sie müssen einfach zu beantragen und schnell verfügbar sein.
Die Mitarbeiter sind aufgrund der hohen Bedeutung der Kundenberatung ein sehr wichtiger Faktor für erfolgreichen Einzelhandel. Kurzarbeit zwingt die Mitarbeiter aufgrund wirtschaftlicher Einbußen alternative Beschäftigungsmöglichkeiten zu suchen.
S&R: Was machen Ihre Mitarbeiter während dem Lockdown?
Walmrath: Die Situation ist für die Mitarbeiter nicht einfach. Am Anfang waren natürlich alle in Kurzarbeit, mittlerweile brauchen wir sie jedoch wieder verstärkt vor Ort, weil die Verarbeitung der Frühjahrsware dies erfordert. Insgesamt sind wir begeistert, wie großartig und motiviert alle mitziehen.
Möchte man die Attraktivität von Innenstädten erhalten bzw. wieder herstellen sind auch nach einer Überwindung der Corona Pandemie konkrete Maßnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden speziell für den innerstädtischen Handel dringend notwendig.
S&R: Welche notwendigen Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht erforderlich?
Walmrath: Ein großes Problem sehe ich darin, dass international tätige Internetversender den Einzelhandel mitunter preislich unterbieten können, da sie intensiv Steuersparmodelle nutzen oder ihren eigentlich defizitären Internethandel aufgrund von Einnahmen aus anderen Bereichen querfinanzieren können. Eine unterschiedliche Umsatzbesteuerung würde hier gegebenenfalls helfen. Was die Innenstädte betrifft, ist Verdichtung ein wichtiges Schlagwort. Es wird nichts bringen, zu versuchen, alle Einkaufsbereiche zu erhalten. Es sollte einen erkennbaren zentralen Einkaufsbereich geben, bei dem eine gute Erreichbarkeit auch aus dem Umland mit dem PKW oder ÖPNV unbedingt gegeben sein muss. Reine Fußgängerzonen funktionieren, wenn überhaupt nur in Großstädten. Dazu sollte es aber auch Erlebnisbereiche geben, wo Platz für Gastronomie und Kultur vorhanden ist. Veranstaltungen, speziell an den Wochenenden, gewinnen immer mehr an Bedeutung und sollten gefördert werden. Die Ansiedlung von Einzelhandelsflächen am Stadtrand sollte möglichst unterbunden werden.
Vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Ihnen bei der Bewältigung der Krise ausreichende Kraft, Ausdauer und auch den notwendigen Mut.
Das Interview führte Claus Nürnberg.
Diplom-Kaufmann Claus Nürnberg ist als Senior-Partner bei der WED+ Unternehmensberatung GmbH tätig und unterstützt seit vielen Jahren Unternehmen in der Krise bei der Entwicklung und Umsetzung von Sanierungs- und Restrukturierungskonzepten. Im Rahmen eines Interimsmanagements übernimmt er die operative Verantwortung, bis ein definiertes Ziel erreicht ist und ein dauerhaftes Management eingesetzt werden kann. In seiner langjährigen Tätigkeit hat er sich besonders auf Handels- und Dienstleistungsunternehmen spezialisiert.