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SRNL 2021, 3
Gutheil/Kremer 

Vorsicht Haftungsfalle: Aussetzung der Insolvenzantragspflicht – Wer ist wirklich privilegiert?

von Marion Gutheil, Düsseldorf und Andre Kremer, Münster

Abbildung 2

Noch Zeit?

Seit Beginn der Corona-Pandemie geistert die Information durch die Presse, die Insolvenzantragspflicht gem. § 15a InsO sei ausgesetzt. Diese pauschale Aussage führte von Anfang an zu Falschinformationen sowie erheblichen Unsicherheiten in der Rechtspraxis. Diese Unsicherheit hat sich bis zum heutigen Tage fortgesetzt. Mit diesem Beitrag soll die Entwicklung des vergangenen Jahres sowie die aktuelle Rechtslage dargestellt werden.

1. Regelungen im März 2020

Unmittelbar nach Beginn der Corona-Pandemie normierte der Gesetzgeber in § 1 Abs. 1 COVInsAG die Behandlung der Insolvenzantragspflicht von solchen Unternehmen, die allein infolge der Corona-Pandemie in eine Insolvenzantragsplicht gerieten. Der Gesetzgeber setzte die Insolvenzantragspflicht grundsätzlich aus. Dies galt aber nicht für solche Unternehmen, deren Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Pandemie beruhte oder bei welchen keine Aussichten darauf bestanden, eine Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Ferner enthielt das Gesetz eine – jedoch widerlegliche – Vermutung der pandemiebedingten Insolvenzreife, wenn das schuldnerische Unternehmen am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig war.

Hieraus schlossen viele Geschäftsführer oder Vorstände fälschlicherweise, dass alle Unternehmen, die zum 31.12.2019 zahlungsfähig waren, den Privilegierungen des § 1 Abs. 1 COVInsAG unterfielen. Schaut man sich die dortigen Regelungen aber genauer an, so enthält die Norm lediglich Vermutungsregelungen. Dies führte im Ergebnis dazu, dass nicht jedes Unternehmen, welches zum 31.12.2019 zahlungsunfähig war, von den Privilegierungen erfasst war. Vielmehr griff die Insolvenzantragspflicht sehr wohl bei solchen Unternehmen, welche zum 31.12.2019 insolvenzrechtlich überschuldet waren oder bei welchen bis zum 01.03.2020 eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eintrat. Von der Insolvenzantragspflicht waren also lediglich diejenigen Unternehmen befreit, welche bis zum 01.03.2020 weder überschuldet noch zahlungsunfähig waren. Darüber hinaus verlangte die gesetzliche Regelung, dass Aussichten darauf bestanden, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Somit waren auch diejenigen Unternehmen nicht von der Insolvenzantragspflicht befreit, die zwar grundsätzlich unter die Privilegierungen fielen, aber planerisch eine Zahlungsunfähigkeit zukünftig nicht beseitigen konnten.

2. Aussetzung vom 01.10.2020 bis zum 31.12.2020

Für den Zeitraum von Oktober bis Ende Dezember 2020 korrigierte der Gesetzgeber die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht dahingehend, dass diese nur noch für überschuldete Unternehmen galt.

Trat im Zeitraum vom 01.10.2020 bis zum 31.12.2020 die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens ein, so war der Geschäftsführer oder Vorstand verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen.

SRNL 2021 S. 3 (4)

3. Rechtslage seit dem 01.01.2021

Im Rahmen des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) wurden die Regelungen des § 1 COVInsAG um einen Absatz 3 ergänzt. Dieser sieht in der aktuellen Fassung eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 01.01.2021 bis aktuell verlängert zum 30.04.2021 vor.

Privilegiert sind aber nur Schuldner, die im Zeitraum vom 01.11.2020 bis zum 28.02.2020 einen Antrag auf Gewährung finanzieller Hilfeleistungen (Überbrückungshilfen, KFW-Darlehen) im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Pandemie gestellt haben bzw. aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen den Antrag noch nicht stellen konnten, aber antragsberechtigt sind.

Der unbefangene Leser der Norm könnte nunmehr die Schlussfolgerung ziehen, dass allein die Stellung eines Antrags auf Hilfeleistungen oder dessen Möglichkeit zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht führt. Dies ist jedoch nicht so. Zunächst ist die Regelung in der Gesetzessystematik zu lesen, denn § 1 Abs. 3 COVInsAG verweist auf § 1 Abs. 1 COVInsAG. Hieraus folgte, dass die Aussetzung der Antragspflicht vom 01.01.2021 bis zum 30.04.2021 nur für diejenigen Schuldner gilt, die bis Ende Februar 2020 weder zahlungsunfähig noch insolvenzrechtlich überschuldet waren.

Des Weiteren gilt die Privilegierung des § 1 Abs. 3 COVInsAG nicht, wenn offensichtlich keine Aussicht auf Erlangung der Hilfeleistungen besteht oder die erlangbare Hilfeleistung für die Beseitigung der Insolvenzreife unzureichend ist. Sieht man sich die aktuellen Hilfsprogramme an, so verlangen alle eine Bestätigung des jeweiligen Beraters, dass das beantragende Unternehmen zum 31.12.2019 nicht in wirtschaftlichen Schwierigkeiten war. Spätestens an dieser Stelle fallen die zu diesem Zeitpunkt bereits insolvenzreifen Unternehmen durch das Raster und sind mithin nicht privilegiert. Letztlich sind diejenigen Unternehmen nicht privilegiert, bei welchen die öffentlichen Mittel planerisch nicht ausreichen werden, um die materielle Insolvenzreife (Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung) zu beseitigen.

Von der Insolvenzantragspflicht sind aktuell also nur diejenigen Schuldner befreit, die

– bis zum 01.03.2020 weder zahlungsunfähig noch insolvenzrechtlich überschuldet waren,

– einen Antrag auf Gewährung der finanziellen Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme stellt haben oder mangels rechtlicher oder technischer Möglichkeiten bisher nicht haben stellen können, aber berechtigt wären und

– bei welchen die Hilfeleistungen ausreichen, um die Insolvenzreife zu beseitigen.

Diese unübersichtlichen Regelungen stellen Unternehmensverantwortliche vor große Herausforderungen und Haftungs- sowie Strafbarkeitsrisiken. Verstößt etwa der Geschäftsführer oder Vorstand gegen die Pflicht zur rechtzeitigen Insolvenzantragstellung, gilt auch hier das Sprichwort: „Unwissenheit – oder aber Unübersichtlichkeit gesetzlicher Regelungen – schützt vor Strafe nicht“. Bei unterlassener oder verspäteter Insolvenzantragstellung trifft den Unternehmensverantwortlichen das scharfe Schwert der persönlichen Haftung. Er hat der Gläubigergemeinschaft alle Zahlungen zu erstatten, die er nach Eintritt der Insolvenzreife veranlasst hat, soweit diese nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar waren. Und genau an diese Bewertung werden ebenfalls hohe Anforderungen gestellt. Lange nicht jede Zahlung zur Aufrechterhaltung des operativen Geschäftsbetriebes lässt sich hierunter fassen. Und damit nicht genug: auch die Vereinnahmung von Zahlungseingängen auf Konten, die etwa im Soll geführt werden, gelten unten bestimmten Bedingungen als Zahlungen im haftungsrechtlichen Sinne.

Daneben steht das strafrechtliche Risiko der Insolvenzverschleppung oder sonstiger Bankrottdelikte. Und auch der Unternehmer, den etwa, weil er einzelkaufmännisch tätig ist, keine Antragspflicht trifft, kann sich nicht entspannt zurücklehnen. Denn auch ihm drohen strafrechtliche Risiken über Tatbestände des Eingehungsbetruges oder anderer Bankrottdelikte.

Denkt man dies zu Ende und muss zu dem Ergebnis kommen, dass das Unternehmen schlimmstenfalls bereits vor dem 31.12.2019 insolvenzantragspflichtig gewesen wäre und die Antragstellung unterlassen hat, tun sich Haftungstatbestände für Zahlungen in einem Zeitraum von inzwischen mehr als einem Jahr auf. Sollte für den Unternehmer daher die Frage auftreten, ob er wirklich privilegiert und von der Pflicht zur Antragstellung befreit ist, kann nur dringend die Konsultation eines in insolvenzrechtlichen Fragen erfahrenen Berater zum eigenen Schutz angeraten werden.

Abbildung 3

Marion Gutheil, Partnerin bei Mönning Feser Partner, ist seit über 20 Jahren im Sanierungs- und Insolvenzbereich tätig. Sie ist Fachanwältin für Insolvenzrecht, Mediatorin und seit mehr als 10 Jahren bestellte Sachverwalterin und Insolvenzverwalterin. Daneben unterstützt sie Unternehmen in der Restrukturierung sowie der Vorbereitung und Begleitung von Eigenverwaltungsverfahren und bietet juristische Beratung und Prozessvertretung im insolvenznahen Bereich an.

Abbildung 4

Andre Kremer, LL.M. ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht und Partner bei MÖNIG. Er ist ein ausgewiesener Kenner des Insolvenzrechts: zu Beginn seiner Anwaltatätigkeit hat er sich mit der Identifizierung und Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen in Insolvenzverfahren befasst. Seine langjährige Expertise im Insolvenz- als auch im Bankrecht setzt er inzwischen vornehmlich in der (vorinsolvenzlichen) Sanierungsberatung ein und berät und vertritt Unternehmen nahezu jeder Größenordnung in allen Formen und Bereichen der Sanierung.

SRNL 2021 S. 3 (5)

Abbildung 5

 
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