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SRNL 2022, 14
Jacobs 

Prozessfinanzierung als Tool in Restrukturierung, Sanierung und im Insolvenzverfahren

von Stephanie Jacobs, Bonn

Abbildung 18

Ein Rad greift ins andere!

Sobald die Insolvenzreife eingetreten und der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmens gestellt ist, steht der Insolvenzverwalter nach seiner Bestellung oft vor einer Vielzahl von Problemen. Für einen Fall könnte sich hier jedoch eine Lösung im Sinne der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung bieten.

Im Rahmen des Insolvenzverfahrens kann sich die Durchsetzung von Ansprüchen als schwierig und langwierig darstellen, so dass dem Insolvenzverwalter zur Mehrung der Masse nur die gerichtliche Durchsetzung bleibt. Problematisch ist dann, dass die Masse in vielen Fällen nicht ausreicht, um neben den Kosten des Insolvenzverfahrens auch die Kosten eines Rechtsstreites zu tragen. Den Gläubigern verpflichtet, verbleibt dem Insolvenzverwalter dann nur die Möglichkeit, Prozesskostenhilfe (PKH) zu beantragen oder eine gewerbliche Prozessfinanzierung in Anspruch zu nehmen, sofern kein Gläubiger den Rechtsstreit finanzieren möchte. Anträge auf PKH scheitern allerdings aufgrund der vom Bundesgerichtshof (BGH) in den letzten Jahren deutlich angehobenen Voraussetzungen immer häufiger. Zu selten gelingt es den Insolvenzverwaltern, gerichtsfest zu belegen, dass den Insolvenzgläubigern die Finanzierung des Prozesses nicht zumutbar ist. Hier bietet sich die Möglichkeit der Prozesskostenfinanzierung, wodurch der Anspruch ohne finanzielles Risiko für die Insolvenzmasse verfolgt werden kann. Auch kann durch die Inanspruchnahme einer Prozessfinanzierung das Insolvenzverfahren schnellstmöglich abgeschlossen werden, da Verwertungshandlungen parallel durchgeführt werden können.

Insolvenzwelle bleibt noch aus – Aber Nachlaufeffekt droht

Im ersten Quartal 2022 wurden bei deutschen Amtsgerichten nach aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts insgesamt 3.483 Insolvenzanträge von Unternehmen eingereicht. Das waren 7,4 Prozent weniger als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Im Mai 2022 ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen gegenüber April 2022 allerdings um 8,4 Prozent gestiegen. Ob das die schon länger erwartete Trendwende ist, bleibt abzuwarten. Klar ist, dass die Zahlen im längerfristigen Vergleich nach wie vor mit Vorsicht zu genießen sind. Schließlich war das Insolvenzgeschehen in den letzten beiden Jahren von einer ganzen Reihe von Sonderregelungen geprägt. So gilt für etliche Corona-geschädigte Unternehmen die Pflicht zur Beantragung eines Insolvenzverfahrens erst seit dem 1. Mai 2021 wieder vollumfänglich. Für Firmen, deren Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf die Auswirkungen der Starkregenfälle oder des Hochwassers im Juli 2021 zurückzuführen ist, war die Insolvenzantragspflicht sogar bis 31. Januar 2022 ausgesetzt.

Sofern es in den nächsten Monaten zu einer Normalisierung kommt, wird man hier auch einen Nachlaufeffekt feststellen können. Einige Insolvenzverwalter könnten sich vor diesem Hintergrund schon bald mit einer schwierigen Gemengelage konfrontiert sehen: Da manche Geschäftsleitungen aufgrund der lange ausgesetzten Insolvenzantragspflicht bereits mit der (späteren) Insolvenzmasse wirtschaften, dürfte nach der Antragstellung schlicht keine Masse mehr zur Verfügung stehen. Das wäre dann eine Art „kalte EigenverwaltungIn solchen Fällen fehlt es massiv an Liquidität – und das nicht nur zur Befriedigung von Zahlungsverpflichtungen gegen das Unternehmen, sondern auch zur rechtlichen Durchsetzung von Ansprüchen des Unternehmens selbst.

Prozessfinanzierung als Sanierungstool

Doch auch im Vorfeld kann der Einsatz der Prozessfinanzierung als Sanierungstool Sinn machen. Dies ist unter anderem dann SRNL 2022 S. 14 (15)der Fall, wenn die finanziellen Mittel des Unternehmens nicht ausreichen, um den Anspruch gerichtlich durchsetzen zu können und das Unternehmen in eine finanzielle Schieflage gerät. Schließlich zeichnet sich diese Finanzierungsmöglichkeit dadurch aus, dass ein Prozessfinanzierer die Kosten und Risiken laufender und geplanter Rechtsstreitigkeiten gegen eine erfolgsabhängige Beteiligung an dem Prozesserlös übernimmt. Die Finanzierung kann dabei auf jeden Fall individuell angepasst werden, so dass sich die Liquiditätslage unmittelbar verbessern kannt. Der prozessual geltend gemachte Anspruch wird zum sog. „Legal Asset“. Sofern im Einzelfall eine Mediation als zielführender erachtet wird, bestehen auch hier Finanzierungsmöglichkeiten.

Denkbar ist auch die Möglichkeit der Monetarisierung, bei der spezialisierte Prozessfinanzierer prüfungsabhängig vorab einen Teilbetrag der Klageforderung an das Unternehmen auszahlen. Durch die Bündelung mehrerer Klageverfahren eines Unternehmens können so sogar einzelne Verfahren mit vergleichsweise hohem Prozessrisiko finanziert werden (sogenannte Portfolio-Finanzierung).

Neben der Liquiditätsverbesserung können bei dem Unternehmen auch die Rückstellungen für Prozesskostenrisiken ergebniswirksam aufgelöst werden, da der Finanzierer bei Verlust der Klage sämtliche Kosten des Rechtsstreits allein trägt. Dies gilt auch für die Kostenerstattungsansprüche des Gegners. Dadurch kann eine bilanzielle Überschuldung des Unternehmens verringert oder vermieden werden.

Ein Praxisbeispiel

Ein mittelständischer Chemieanlagenbauer hat ein Schiedsverfahren gegen einen Auftraggeber im Ausland wegen unbezahlter Projektnachträge eingeleitet. Der Anlagenbauer rechnete in dem Verfahren mit eigenen Anwalts- und Sachverständigenkosten in Höhe von rund 300.000 Euro. Für diese Summe wurde eine entsprechende Rückstellung gebildet. Da die Passivseite der Bilanz bereits durch Darlehensverbindlichkeiten stark belastet war, löste dies bei dem Unternehmen eine bilanzielle Überschuldung aus. Nach Übernahme sämtlicher Verfahrenskosten durch einen Prozessfinanzierer konnte die Rückstellung wieder aufgelöst, die Überschuldung beseitigt und die finanzielle Situation neu bewertet werden. Eine insolvenzrechtliche Überschuldungsprüfung war nicht mehr erforderlich. Zudem wurde die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens gestärkt, da der Prozessfinanzierer die Verfahrenskosten in Höhe von 300.000 Euro bezahlte.

Das Beispiel zeigt: Es greift in der Sanierungspraxis zu kurz, die Rechtsstreitigkeiten eines sanierungsbedürftigen Unternehmens als reinen Kostenfaktor zu bewerten, der die Liquiditätsplanung des Unternehmens belastet und die Sanierung erschwert. Bei genauer Betrachtung stellen Klageverfahren vielmehr Assets dar, die durch eine Prozessfinanzierung gehoben werden können, um sofort Liquidität zu schaffen. Die Prozessfinanzierung kann damit als kreatives Sanierungstool genutzt werden.

Abbildung 19

Frau Stefanie Jacob ist bei der FORIS AG im Bereich des Insolvenz-, Erb- und allgemeinen Wirtschaftsrecht tätig.

Vor ihrem Wechsel zur FORIS war sie Jacob bei zwei namhaften Kanzleien im Bereich der Insolvenzverwaltung tätig und dort für die eigenständige Abwicklung von Unternehmensinsolvenzen verantwortlich. Darüber hinaus sammelte Stefanie Jacob Erfahrungen in einer auf Steuer- und Erbrecht spezialisierten „Boutique“-Kanzlei in Düsseldorf.

 
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