Vorsicht bei unklarer Lage! Haftungsgefahren für Insolvenzverwalter
von Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning, Aachen
Auf der Jubiläumsveranstaltung des Symposions für Insolvenzrecht und Arbeitsrecht in Ingolstadt referierte Dr. Volker Schultz, stellvertretender Vorsitzender Richter am IX. Senat des Bundesgerichtshofes, über einen Haftungsfall, den der Bundesgerichtshof wieder zur Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwies. Das Insolvenzgericht hatte in seinem Beschluss, mit dem ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattet wurde (schwache vorläufige Insolvenzverwaltung), zugleich bestimmt, dass der vorläufige Verwalter das Unternehmen in Abstimmung mit dem Schuldner fortführen sollte. Dabei sollte es sich nach dem Insolvenzantrag um ein Speditionsunternehmen mit mehr als 300 Fahrzeugen und über 170 Mitarbeitern handeln. Tatsächlich fand der vorläufige Insolvenzverwalter vor Ort einen verwaisten Betrieb vor. Der schließlich ausfindig gemachte Geschäftsführer hatte keine Ahnung, er war erst seit 14 Tagen im Amt und konnte keine näheren Angaben machen. Aufträge wurden nicht mehr ausgeführt.
Gleichwohl bezahlte der vorläufige Insolvenzverwalter aus vorhandenen Mitteln offene Betriebskosten für Fahrzeuge und Kraftfahrzeugsteuer an verschiedene Hauptzollämter. Der Versuch, den Betrieb wieder anzufahren, scheiterte nach wenigen Tagen. Daraufhin teilte der vorläufige Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht mit, dass eine Betriebsfortführung nicht mehr möglich sei.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die gegen den ehemaligen vorläufigen Insolvenzverwalter geltend gemachte Schadensersatzklage zurückgewiesen und keine Pflichtverletzung erkennen können. Der BGH hat die Entscheidung aufgehoben und zurückverwiesen.
Soweit der vorläufige Insolvenzverwalter Zahlungen geleistet hat, war er dazu nach Auffassung des BGH ohne gesonderte Einzelermächtigung nicht befugt. Eine solche Befugnis ist auch nicht aus der gerichtlichen Anordnung abzuleiten, den Geschäftsbetrieb in Abstimmung mit dem Schuldner fortzuführen. Denn tatsächlich war der Betrieb schon eingestellt, zumindest war die Sachlage völlig unklar, als der vorläufige Insolvenzverwalter die Zahlungen ausführte. Die Befugnis zur Fortführung eines Unternehmens, dass der Schuldner betreibt, gilt nur für solche Betriebe, die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Anordnung tatsächlich noch werbend tätig sind. Für die Wiederaufnahme eines bereits eingestellten Geschäftsbetriebes ist hingegen eine gesonderte gerichtliche Ermächtigung erforderlich. Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut, der ein Unternehmen fordert, welches noch betrieben wird. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn noch eine organisatorisch-technische Einheit besteht, die es der Schuldnerin ermöglicht, weiter am Geschäftsverkehr teilzunehmen. Dem gegenüber deuten ein ahnungsloser Geschäftsführer und ein verwaister Geschäftssitz darauf hin, dass eine werbende Tätigkeit nicht mehr ausgeübt wird.
Ist die Sachlage unklar, darf ein vorläufiger Insolvenzverwalter ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nur solche Maßnahmen treffen, die zur Sicherung der Vermögenslage keinen weiteren Aufschub dulden. Dazu gehören auch Maßnahmen, die der Erhaltung von Sanierungsmöglichkeiten und der Wahrung von Geschäftschancen dienen. Da dazu in den Vorinstanzen keine näheren Feststellungen getroffen wurden, hat der BGH nicht selbst entschieden, sondern zurückverwiesen.
Schon immer galt, die Wiederaufnahme eines zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits eingestellten Geschäftsbetriebes kommt nur im Ausnahmefall in Betracht. Dies setzt voraus, dass die Organisationsstrukturen intakt sind, die Finanzierung gesichert ist und das Unternehmen noch über Kunden und Lieferantenbeziehungen verfügt. Im Ausnahmefall kann ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter die Wiederaufnahme aufgrund seiner umfassenden Verfügungsmacht bewerkstelligen. Der lediglich mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattete schwache vorläufige Insolvenzverwalter jedoch bedarf dazu einer weiteren gerichtlichen Ermächtigung. Gleiches gilt für den Fall, dass der schwache vorläufige Insolvenzverwalter Zahlungen leisten will, die rechtssicher und insolvenzrechtskonform nur aufgrund einer dazu erteilten gerichtlichen Einzelermächtigung möglich sind, anderenfalls würden Insolvenzforderungen reguliert mit entsprechender Haftungsfolge. Ob diese im konkreten Fall den ehemaligen Verwalter treffen werden, ist zwar noch offen, nach den eindeutigen Hinweisen des BGH aber nicht auszuschließen.
(BGH, Urteil vom 21.03.2024 – XIX ZR 12/22)
Professor Dr. Rolf-Dieter Mönning (Mönning Feser Partner) gründete 1980 die Kanzlei Mönning & Georg und zählt zu den führenden Verwaltern und Restrukturierungsberatern (erneut: „Beste Anwälte im Bereich Restrukturierung und Insolvenz“ Handelsblatt 2020). Er wird seit 1979 mit der Abwicklung von Konkurs-, Vergleichs-, Gesamtvollstreckungs- und Insolvenzverfahren und der Beratung von Krisenunternehmen beauftragt und hat bis heute über 3.500 Verfahren aller Größenordnungen mit Schwerpunkt Fortführung und Sanierung bearbeitet. Er veröffentlicht und referiert regelmäßig im In- und Ausland zu insolvenzrechtlichen Themen und ist u.a. Herausgeber und Autor des Handbuchs „Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz“. Bis zur Emeritierung war er Professor für Unternehmensrecht an der Fachhochschule Aachen.